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Montag, 3. Oktober 2005
Was soll man dazu sagen …
andrewendler, 03.10, 01:32

… wenn sonst schon keiner was sagt. Denn wenn man angesichts der von höchster Stelle verordneten Gute-Laune-Kampagne schon weiß wer man nun ist – bitte wählen Sie zwischen Max Schmehling und Konrad Adenauer oder VW –, dann wünscht man sich ja zumindest Kommentare von denen, die auch dann immer etwas sagen, wenn es eigentlich schon nichts mehr zu sagen gibt. Nur eben jene – sie nennen sich ›Medienunternehmen‹ – hüllen sich in vornehmes Schweigen. Bis auf den offiziellen Pressetext zur »größten Social Marketing Kampagne in der deutschen Mediengeschichte« findet man in den Medien kein Wort zur Kampagne.

Aber das braucht es ja scheinbar auch nicht: schließlich sind wir ja jetzt alle Deutschland und wenn alle das Selbe sind, dann sind auch alle der selben Meinung und dann brauchen wir auch keine – ich setze es mal in Klammern (kritische) – Berichterstattung. Ja, was den Parteien bei der Regierungsbildung nicht gelingen will: im deutschen Blätterwald ist es längst, bzw. seit dem 26.09.2005, 19:53, Realität: alle sind sich einig, keine schießt mehr quer.

Das ist ja an sich keine schlechte Sache. Und schwerlich wird sich einer darüber aufregen können, dass wir uns in Deutschland lieber besser fühlen sollen. ›Ärmel hoch und Mauern einreisen‹, heißt die Botschaft und die Meinungsmacher haben es ja schließlich vorgemacht wie es geht. Eine schlechte Sache ist aber schon, wenn das deutsche Feuilleton in freiwilliger Gleichschaltung eine Kampagne schweigend gut findet, die schon durch ihren bloßen Namen (Social Marketing) in den 70er-Jahren die linken Denkerinnen und Denker auf die Palme gebracht hätte. Aber die Zeiten ändern sich eben.

Schließlich, und das nur zur Beruhigung, will man uns hier ja nichts verkaufen, schließlich geht es um uns, um unser aller Wohl. Aber vielleicht will man uns nichts verkaufen, sondern gleich uns verkaufen: auch wenn ›Du‹ die emotionalere Anrede ist, geht es darum, dass die Wirtschaft wieder brummen soll. So wie die Klofrau von nebenan jetzt die Zähne zusammenbeißen muss, soll sie dann bitte schön auch den Mund halten, wenn es den Konzernen wieder besser geht. Du bist doch selbst für dein Glück verantwortlich gewesen. Haste nichts draus gemacht? Pech gehabt!

Und auch wenn es so wäre, dass man uns nichts verkaufen wollte – allein der Hinweis auf die 30 Mio. Werbeetat lässt mich anderes ahnen –, dann müsste der Aufschrei noch größer sein. Denn dann wäre die Logik des Marketings, dessen Vokabular aus ›Kundenvorteil‹ und ›Consumer Enjoyment‹ besteht, tatsächlich aber die Gewinne steigern soll und sonst nichts, zur allgemeinen Logik einer Gesellschaft geworden. Wenn wir mit Verkaufsstrategien nichts mehr verkaufen, wenn sich die ehemalige vierte Gewalt im Land ungebeten und ungefragt zum Propheten mit Himmelfahrtslogik macht um eine neue Aufbruchsstimmung in Deutschland zu befördern, dann sollten vielleicht gerade die unterbezahlten Supermarktkassiererinnen und Bauarbeiter zeigen, dass ihr Himmel nicht so babyblau wie der Himmel über dem neuen ›Manifest‹ strahlt.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: auch mich nervt es, wenn mich frisch diplomierte Kommilitonen, die gerade für ein paar 100.00 EURO ein jahrelanges Universitätsstudium geschenkt bekommen haben, mit schmerzverzerrter Miene auf die Arbeitsmarktlage aufmerksam machen, obwohl ihre Chancen dort und international noch allemal besser sind, als die von etlichen Langzeitarbeitslosen ohne Qualifikation und Motivation.

Aber die tatsächliche Lage in Deutschland und für jeden einzelnen steht hier eben so wenig zur Debatte, wie diese schicke aber massiv ideologische Kampagne irgend etwas daran ändern wird. Diese Kampagne ist kein Wunder, sondern sie ist, was sie selbst sagt: eine riesige Werbeaktion, die der Wunschtraum eines jeden Marketingstrategen schlechthin ist: kostenlose Werbung auf allen Kanälen, traumhafte Reichweite und politisch korrekte, saubere Inhalte. Dieses »Wunder von Deutschland« ist der Idealfall des Marketing und keine Politik. Ob das Schweigen der Medien im Angesicht ihrer faktischen Selbstaufhebung durch Kommunikationsstrategen ein betäubtes mit verklärtem Blick oder ein vor Schreck ersticktes ist, werden wir hoffentlich hören, wenn die Feuilleton-Redaktionen an einem wunderbaren blauen Tag, in einem wunderbaren Deutsch-Land wieder auferstanden sein werden. Wenn!